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Patriotische Gesellschaft von 1765 – wo sich die Stadtfreunde Hamburgs noch immer engagieren
Bereits ein Vierteljahrhundert vor der Französischen Revolution, im April 1765, gründeten einige honorige Herren die „Hamburgische Gesellschaft zur Beförderung der Künste und nützlichen Gewerbe“. Erst etwas später wurde ihr der Schmuckname „Patriotische Gesellschaft“ verliehen. Warum dieser Titel zwar antiquiert klingen mag, aber nach wie vor den Kern der Sache trifft, erklärt Wibke Kähler-Siemssen, seit 2014 Geschäftsführerin des gemeinnützigen, mitten in Hamburgs Innenstadt gelegenen Vereins.
„,Patriot‘ bedeutete einfach ‚Stadtfreund‘ und bezeichnete einen seiner Stadt zugewandten, aktiven Bürger, der sich für das Wohl – in diesem Falle – Hamburgs einsetzte“, sagt Kähler-Siemssen. Dabei sei der Sinnspruch „Nützlich für Hamburg. Aktiv für die Menschen“ heute noch so aktuell wie damals. Die Konnotation „nationalistisch“ habe der Begriff tatsächlich erst im Laufe des 19. Jahrhunderts erhalten. „Dieser Deutung, der sich inzwischen sogar rechte Bewegungen wie Pegida bedienen, setzen wir unermüdlich unser eigenes Verständnis von ‚patriotisch“ als ‚weltoffen, liberal und ebenso seiner Stadt verbunden‘ entgegen“, erklärt sie. Mit Erfolg, wie es scheint, denn der Verein mit derzeit gut 400 Mitgliedern wächst langsam, aber stetig. Und welche gemeinnützige Organisation kann schon auf eine fast 260-jährige Geschichte zurückblicken?
Qua Satzung auf ein Wirken in Hamburg beschränkt teilen die heutigen Mitglieder dieselben Anliegen, die schon die Gründerväter beseelt haben, nämlich im Sinne der Aufklärung für weltanschauliche Unabhängigkeit und selbstbestimmtes Handeln einzutreten, neuen Ideen und anderen Menschen gegenüber aufgeschlossen zu bleiben sowie, natürlich, ihre schöne Stadt noch ein wenig lebenswerter und menschenwürdiger zu gestalten. Dass Kähler-Siemssen schon seit knapp neun Jahren die Geschicke des Vereins leitet, kommt nicht von ungefähr, denn selbst wenn die Minderin auch nach 30 Jahren noch immer nicht als „Hamburger Deern“ durchgeht, so schlägt ihr Herz doch unermüdlich für ihre Stadt Hamburg und dafür, mit eigenen Ideen und Impulsen für die Verbesserung der Lebensumstände aller Hamburger zu arbeiten.
Wie geht Strategie? Wie geht Veränderung?
Direkt nach dem Abitur zog es die Westfälin in die Hansestadt, wo sie erst eine kaufmännische Ausbildung beim Axel-Springer-Verlag absolvierte und im Anschluss ein Studium der Kunstgeschichte und Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Museumsmanagement. „Mit Kunstgeschichte habe ich eine inhaltliche Grundlage gelegt. Im Museum gearbeitet habe ich allerdings nie. Denn schon damals hat mich die Führung gemeinnütziger Organisationen sehr interessiert und eben die Frage, wie man abseits vom operativen Geschäft die Dinge besser machen kann. Wie geht Strategie, wie geht Veränderung?“ Antworten darauf hat die junge Frau bei der internationalen Unternehmensberatung „Roland Berger“ gesammelt – und bereits das Themenfeld entdeckt, das sie auch später im Berufsleben weiter beackern würde: die gebaute, die gestaltete Stadt als Identifikationsfaktor.
Im Auftrag der Stadtverwaltung erforschte die Unternehmensberaterin die Möglichkeiten eines Fundraisings für die Elbphilharmonie, die damals nichts weiter als eine Vision war. Von Roland Berger ging’s gleich an die Spitze der Stiftung Elbphilharmonie, die die heute 50-Jährige knapp neun Jahre lang führte. In dieser Zeit, der „Rushhour des Lebens“, bekamen sie und ihr Mann (Unternehmensberater, ständig auf Achse) eine Tochter und einen Sohn und stemmten die Doppelbelastung „Kinder und Karriere“ mit Hilfe von Au-Pair-Mädchen sowie einer großartigen Kinderfrau. „Einer Mischung aus Mary Poppins und Frau Rottenmeier, einer älteren Dame, die im Pelz und High Heels durch unser eher alternatives Viertel Altona-Ottensen marschierte und erstaunlich gut klarkam“, erinnert sich Kähler-Siemssen amüsiert.
„Die Bereitschaft, sich für die Stadt zu engagieren, ist sehr hanseatisch“
Dass sie sich auch in den Jahren, „in denen man noch kleine Söckchen an kleine Füßchen fummeln musste,“ beruflich so stark engagierte, erklärt sie mit der Begeisterung für den Zweck der Stiftung: „Gegründet wurde sie, um einen Rahmen zu schaffen für die hohe Bereitschaft der Bürger und Bürgerinnen, sich an diesem Leuchtturm zu beteiligen. Dieses Interesse, sich für Hamburger Themen einzusetzen, ist sehr hanseatisch. Wann immer die Stadt verändert, vorangebracht, gestaltet wird, handelt es sich um eine Gemeinschaftsleistung“, sagt die zugezogene Lokalpatriotin mit spürbarem Stolz. Doch trotz der hohen Spendenbereitschaft der Hamburger sah sich die Stiftung immer wieder großen Herausforderungen ausgesetzt, denn auch während diverser Baustopps der Elbphilharmonie musste das „kleine Beiboot Stiftung“ den Spendern glaubhaft und glaubwürdig vermitteln, dass der „Tanker Elbphilharmonie“ ein lohnendes Unterfangen war.
Umso zufriedener ist die ehemalige Geschäftsführerin heute, dass das Konzerthaus zu dem Wahrzeichen der HafenCity geworden ist, das man sich erträumt hat, und dass das emblematische Bauwerk nicht nur Konzertbesuchern offen steht, sondern viel zugänglicher als von vielen erwartet ausgefallen ist. Ein wehmütiger Blick zurück? Ist nicht so Wibke Kählers Sache. „Was vorbei ist, ist vorbei und das ist auch gut so“, mischt sie westfälische Schnoddrigkeit mit Hamburger Klartext.
Die Ehrenamtlichen bilden „eine riesige, kompetente Programmabteilung“
Als besonders spannend an der Patriotischen Gesellschaft empfindet Kähler-Siemssen die Themenvielfalt, die sie dank der Expertise ihrer Mitglieder stemmen könne. Die Ehrenamtlichen, die meist am Ende des Berufslebens zur Stiftung stießen, um jetzt ihr Wissen, ihr Netzwerk und ihre Ideen zu teilen und voranzutreiben, bezeichnet die Managerin gern als ihre „riesige Programmabteilung“. Mit ihrem zwölfköpfigen Team aus Hauptamtlichen möchte Kähler-Siemssen den engagierten Bürgern und Bürgerinnen durch ein hochprofessionelles Vereinsmanagement die bestmögliche Infrastruktur zur Verfügung stellen, um Dinge effektiv und mit Spaß „auf die Straße zu bringen“. Dass ein im 18. Jahrhundert zum Wohle der Stadt gegründeter Verein noch immer existiert und unter den 1,9 Millionen Hamburgern die Bereitschaft, sich fürs Gemeinwohl zu engagieren, generell ausgesprochen hoch sei, führt Kähler-Siemssen auf die republikanische Tradition der Hansestadt zurück: „Hier gab es nie ein Herrscherhaus, keinen Fürsten wie in München, der die Prunkbauten hingesetzt hat. Dieser Umstand macht was mit dem kollektiven Bewusstsein, auch bei der Frage: Wem gehört die Stadt?“
Wem gehört die Stadt?
Den Kindern natürlich! Das gilt zumindest für die „Kinderstadt Hamburg“, ein in München vor über 40 Jahren erarbeitetes Ferienangebot, das die „Patriotische“ an die Elbe geholt hat. Elf Tage lang haben im Sommer 2021 bis zu 400 Hamburger Kinder pro Tag in der eigens errichteten Zeltstadt ihre Bürgerrechte ausgelebt und ihre Bürgerpflichten erfüllt. „Sie bekamen einen Bürgerausweis, stimmten in der Stadtverwaltung über Themen ab, gingen zum Arbeitsamt, suchten sich einen Job, verdienten pro Arbeitsstunde fünf Kometen, zahlten davon einen an Steuern, gründeten Gewerbe, waren korrupt – also alles, was im wahren Leben auch geschieht“, sagt Kähler-Siemssen und lacht. Die vielleicht wichtigste Erkenntnis: Kinder wollen mitentscheiden. „Mehr Grün, mehr Fahrradwege, die Kinder wissen, was sie in der Stadt brauchen“, sagt sie und will nun mit den Verantwortlichen der „großen“ Stadt darüber beraten, wie sich die Beteiligung der Kinder an der Stadtgestaltung am besten organisieren ließe.
„Alle Erkenntnisse, die wir aus unseren Projekten gewinnen, geben wir weiter, denn das Wissen gehört uns ja nicht allein“, erklärt die Geschäftsführerin. Besonders viele Einsichten gewinne man aus den Diesterweg-Stipendien, mit denen die „Patriotische“ alle zwei Jahre zwölf Grundschüler fördert und beim Schulwechsel begleitet. Diese müssen die Kriterien Begabung, Bereitschaft und Benachteiligung erfüllen. „Das Besondere an dem Programm: Es ist ein Familienstudium, auch die Geschwister profitieren von den Eltern-Kind-Treffen, der Erziehungsberatung, den Ausflügen. Und vielen Eltern gelingt es durch unsere Begleitung, Qualifikationen zu beginnen, prekäre Jobs hinter sich zu lassen. Bildung findet immer in der Familie statt und wir geben den Eltern die Instrumente an die Hand, die sie brauchen, um ihre Kinder bestmöglich zu fördern.“
SeitenWechsel: Wo Manager menschlich führen lernen
Vom Programm SeitenWechsel indes profitieren Manager, die ihre leitende Position in einem gewinn- und ergebnisgetriebenen Unternehmen gegen eine Hospitanz in einer sozialen Einrichtung wie einer Suchtklinik oder einem Hospiz eintauschen, um aus eigener Anschauung heraus zu erleben, wie Sozialarbeiter Menschen führen. „Dieser Perspektivwechsel hilft ihnen ungemein, bei Themen wie Tod eines geliebten Menschen oder einer Suchterkrankung ihrer Verantwortung als Führungskraft gerecht zu werden, ohne in persönliche Betroffenheit zu geraten. Sie lernen, ihren Mitarbeitern auf emotionaler Ebene zu begegnen und in diesen Dingen sprechfähig zu werden.“ Wibke Kähler hat das Programm in einer Obdachlosenunterkunft selbst durchlaufen und empfindet gegenüber den Sozialarbeitern höchsten Respekt davor, mit wieviel Professionalität, Höflichkeit und Service sie ihren Klienten begegnen, „bei allen Rückschlägen, die sie erleben“.
Für ein weiteres Steckenpferd kann sich die Kunsthistorikerin gleichermaßen begeistern: für die Innenstadtentwicklung. Besonders relevant für eine Großstadt wie Hamburg, deren City fast keine Wohnbevölkerung mehr hat. „Während es viele intakte Stadtteile mit Nahversorgung, Gastronomie und Kultur gibt, fehlt in der Mitte das Leben.“ Architekturwettbewerbe, Info-Veranstaltungen, Plakat-Kampagnen, die temporäre kulturelle Nutzung öffentlicher Plätze – die Klaviatur, auf der die Patriotische Gesellschaft das Thema spielt, ist vielfältig. Doch ist es gerade das stattliche, nach dem großen Brand von 1842 erbaute Haus der Gesellschaft, das für Wibke Kähler-Siemssen ein großes Identifikationspotenzial hat, steht dieses bedeutende Baudenkmal doch an der Trostbrücke im Herzen der Hansestadt und war bereits Ort vieler politischer Entscheidung, so tagte hier im 19. Jahrhundert die verfassungsgebende Versammlung, die „Konstituante“. Und auch heute noch finden Stadtfreunde hier Gesinnungsgenossen, um sich gemeinsam für Hamburg stark zu machen.
Weitere Informationen finden Sie unter: https://www.patriotische-gesellschaft.de/